Dar Bouidar


Tabus und Ihre Folgen
In Marokko sind ca. 30 Prozent der Bevölkerung Kinder unter 14
Jahren. Jährlich werden 10 000 Kinder ausgesetzt. Aufgrund der
schweren gesellschaftlichen Stigmatisierung fürchten viele alleinerziehende
Mütter die Ächtung durch ihre Familien und die Gesellschaft.
Eine ledige marokkanische Mutter ist durchschnittlich 20
Jahre alt. 45 Prozent haben keine schulische Ausbildung. In Marokko
wachsen etwa 650 000 Waisenkinder ohne den Schutz der elterlichen
Fürsorge, menschliche Nähe und liebevolle Ansprache auf.


Dar Bouidar
Hansjörg Huber ist ein pensionierter Unternehmer aus der Schweiz
und Gründer von „Dar Bouidar“, dem Zufluchtsort der verlassenen
und weggelegten Kinder. Mit der Hälfte seines Vermögens
setzte er seine Vision von einem Kinderdorf um. Er gründete den
schweizer Verein „Kinderdorf – DarBouidar“ und mit den gesammelten
Spenden plant er die laufenden Kosten des Dorfes zu bezahlen.
Am Fuße des Atlas-Gebirges in der Nähe von Tahnaout, einem
Berberdorf, erstreckt sich das Gelände von Dar Bouidar. Dar Bouidar
befindet sich zwar noch im Anfangsstadium, doch sind 2 von
10 Häusern bereits von 24 ausgesetzten Kindern bewohnt. 16 angestellte
Frauen, die in zwei Schichten die Mutterrolle einnehmen,
kümmern sich um das Wohl der Kinder. Sie versorgen sie u.a. mit
liebevolle Zuneigung.
Die „Mütter“ sind überwiegend geschiedene Berber–Frauen, die in
der Gesellschaft wenig Zuspruch bekommen. Hier bietet Dar
Bouidar-Gründer Hansjörg Huber zusätzlich den stigmatisierten
Frauen eine Perspektive, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Das Kinderdorf bietet eine moderne Krankenstation, eine Moschee
und einen Kindergarten, die auch die Bewohner der umliegenden
Berberdörfer nutzen können. Durch das Konzept der
Selbstversorgung befindet sich im Hinterhof der Häuser ein Garten
mit Anbaufläche für Gemüse, Kräuter etc. . Auch Tiere wie
Ziegen, Hühner und Kaninchen finden hier ein Zuhause.

Tradition und die Probleme
Das Familiengesetz „Moudawana“, das durch König Mohammed
VI. im Jahr 2004 verabschiedet wurde, unterstützt die Unabhängigkeit
und die Rechte von Frauen. Es lässt glauben, dass Marokko ein
fortschrittliches Land der muslimischen Traditionen sei.
«Haram» ist nach islamischem Recht, der Scharia, alles, was verboten
ist. Auch vor- und aussereheliche Sexualität ist ein solches, vermeintlich
von Gott verordnetes Tabu. Das traditionelle und kulturelle
Gedankengut der Gesellschaft ächtet geschiedene Frauen und
schließt auch Mütter mit einem unehelichem Kind ökonomisch,
gesellschaftlich und familiär aus. Der Makel, ein «weld haram» zu
sein, ein Kind der Schande, bleibt ihnen ihr Leben lang.

Die Gründe
Es gibt verschiedene Ursachen für uneheliche Kinder. Die sexuelle
Aufklärung von Mädchen und der Einsatz von Verhütungsmitteln
sind in der Gesellschaft ein Tabuthema. Frauen können beispielsweise
von ihrem Verlobten verlassen, während der Prostitution geschwängert
worden, oder Opfer von Vergewaltigungen sein. Um nicht von
der Familie verstoßen zu werden, muss die werdende Mutter entweder
ihren Peiniger heiraten oder das uneheliche Kind aussetzen.
Frauen können das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch wahrnehmen,
jedoch muss sie den offiziellen Weg gehen und ihren Vergewaltiger,
ggf. ein Familienmitglied, anzeigen. Durch den unehelichen
Sex oder den Verrat eines Familienmitgliedes, verliert sie ihre Ehre. Ihr
bleibt nur übrig, ihre Schwangerschaft bis zur Geburt zu verschweigen.
Sie kann sich dafür entscheiden, ihr neugeborenes Kind auszusetzen,
in der Hoffnung, dass es gefunden wird.
Manche Frauen versuchen durch Eigentherapie mit Medikamenten,
o.ä. abzutreiben. Wenn ihnen der Versuch missglückt, bringen sie ein
Kind mit Behinderung zur Welt. Auch gibt es Fälle, in denen Mütter
ihr Kind direkt nach der Geburt töten. Wer das Kind behält, wird auf
der Straße leben müssen.
Dar Bouidar ermöglicht den Kindern eine gute Ausbildung, eine ausgewogene
Ernährung und die beste medizinische Versorgung. Um
den Kreislauf zu durchbrechen und den Kindern eine Zukunft mit
Perspektive bieten zu können, kann dadurch das Bild der gebranntmarkten
Kinder in der Gesellschaft langfristig verändern werden.